Der Linguist John McWhorter wirft der neuen Linken in seinem Buch selbstgerechten Moralismus vor. Ein Gespräch über Rassismus, Rechtschaffenheit und den Unterschied zwischen Gesten und Handlungen.

 

Süddeutsche Zeitung, 2. Februar 2022

Mr. McWhorter, Ihr Buch ist in den USA seit Oktober auf dem Markt. Wie waren die Reaktionen?

Die Reaktionen waren genau so, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich habe von Leuten gehört, die sich beklagt haben, ich würde nichts von Religion verstehen und von religiösen Menschen, die sich angegriffen gefühlt haben. Aber die größte Kritik kam von Leuten, die angemerkt haben, dass die größte Gefahr für den Liberalisums in den USA doch von rechts kommt und nicht von links. Das hatte sicher auch mit Entwicklungen zu tun, die sich im Verlauf des Jahres 2021 abgespielt haben, nachdem das Buch fertig war. Man hat mir gesagt, dass wir uns über den Mob am Kapitol aufregen sollten, über die Einschränkung des Wahlrechts und über Leute, die verbieten wollen, dass das Thema Rassenkonflikt an Schulen unterrichtet werden anstatt über linke Wokeness.

Haben Sie für ihr Buch auch Dankbarkeit geerntet?

Ja, ich hatte mir keine Vorstellung davon gemacht, in welchem Ausmaß ich einen Nerv getroffen hatte.  Viele traditionelle Linke haben es noch nicht verarbeitet, dass sie gesagt bekommen, sie seien Teil des Problems, obwohl sie dachten, dass sie auf der Seite der Engel kämpfen. Jetzt heißt es auf einmal dass, wenn man nicht auf der radikalen Linken steht und eine vollkommene Erneuerung der gesellschaftlichen Prozesse fordert, man moralisch pervers ist. Das macht vielen Menschen ungeheuer Angst, es verletzt viele Leute und es macht sie zornig. Ich richte mich ja nicht an die Rechte, für die habe ich mein Buch nicht geschrieben. Es geht die Leute links der Mitte. Also ja, es gibt eine enorme Dankbarkeit und ich habe von niemandem gehört, der sagt, McWhorter hat mir die Genehmigung dazu gegeben, der Rassist zu sein, der ich sein möchte. Was ich stattdessen höre, ist, warum bin ich plötzlich der Böse? Ich kann mich gut in die Haut dieser Leute versetzen, deshalb habe ich das Buch geschrieben.

Sie sprechen die Debatte um Critical Race Theory an, die insbesondere rund um die Wahl in Virginia explodiert ist. Was halten Sie davon?

Bestimmte Leute glauben, dass wenn man von CRT spricht, man über spezifische juristische Theorien sprechen muss, die vor Jahrzehnten im Umlauf waren und die den Begriff geprägt haben. Das ist natürlich Unsinn. Niemand unterrichtet das in unseren Schulen. Was natürlich stimmt, ist, dass bestimmte Dinge, die aus diesen Theorien entstanden sind ihren Einzug in die Lehrpläne unserer Schulen gefunden haben.  

Sie sehen auch ein Problem darin, dass der Schulunterricht von Links ideologisiert wird?

Wenn Sie in den USA als Lehrer ausgebildet werden, bekommen Sie selten beigebracht, wie man Wissen vermittelt und im Klassenzimmer Disziplin bei behält. Was man hingegen durchaus beigebracht bekommt, ist wie man Kinder dazu ausbildet, für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Die Leute, die das unterrichten, denken von sich, dass sie etwas Gutes tun. Die Idee, dass sich Leute danach definieren, ob sie Unterdrücker oder Opfer sind und im Allgemeinen dieser Hyperfokus auf Machtdiffenerziale, das stammt natürlich aus der Arbeit von Leuten wie Richard Delgado, Austin Crenshaw und David Bell. Das ist den Leuten, die Lehrer ausbilden, durchaus bewusst. Aber was dann im Klassenzimmer ankommt ist häufig etwas ganz anders. Es handelt sich hier um eine Art stille Post, es geht jedesmal etwas verloren, wenn es weiter gegeben wird.  

Die Wahrheit ist, es wird eine bastardisierte Form von CRT an den Schulen unterrichtet, in einem Ausmaß, der viele Leute alarmieren würde.  

Also sind Sie davon überzeugt, dass eine Ideologisierung des Curriculums stattfindet.

Das Problem mit jenen Leuten, die ich in meinem Buch als die „Auserwählten“ bezeichne, ist, dass sie nicht von sich glauben, sie verbreiten eine Ideologie verbreiten. Sie glauben, dass sie die absolute Wahrheit vertreten. Es ist natürlich schwierig, sich mit solchen Menschen auseinander zu setzen. Man kann mit ihnen keine konstruktive Diskussion führen. Wenn man ihnen sagt, dass sie etwa unmoralisches oder destruktives tun, dann können sie einen nicht hören.

Sie haben unter den Entwicklungen des Jahres 2021 auch angesprochen, dass sich die Debatten um soziale Gerechtigkeit auf das Thema Wahlrechte konzentriert hat. Glauben Sie, dass die Kritik der Linken an der Einschränkung der Wahlrechte in den USA zu weit geht und dass Rassismus hier eine deutlich geringere Rolle spielt, als behauptet wird?

Das kommt darauf an, was man unter Rassismus versteht. Natürlich hat es rassistische Konsequenzen, wenn man schwarze Menschen vom Wählen abhält. Und es gleicht natürlich auf eine ekelhafte Weise der Art, in der schwarze Menschen vor vielen Jahren von der Wahlurne fern gehalten wurden. Dahinter steckte der Gedanke, dass schwarze Menschen nicht wählen dürfen, weil sie im Grunde nicht menschlich sind. Aber was jetzt passiert ist ein sehr pragmatischer, sehr hinterhältiger Versuch die demokratischen Wähler zurück zu halten. Wenn Sie ein Republikaner sind, der sich um Anständigkeit einen Dreck schert und dem die rassistische Vergangenheit des Landes egal ist, dann zielen sie natürlich auf die schwarzen Wähler, weil beinahe alle schwarzen Wähler demokratisch wählen. Ich sehe darin einen schäbigen Pragmatismus aber ich glaube nicht, dass es wirklich darum geht, schwarze Menschen grundsätzlich vom Wählen abzuhalten. Für mich ist das ein wichtiger Unterschied, für andere vielleicht nicht. Was bei all dem natürlich verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass alle diese Versuche der Wählerunterdrückung gar nicht funktionieren Es gibt Studie und Studie, die das zeigen. Wenn überhaupt, dann motivieren all diese Unterdrückungsversuche die Menschen noch mehr dazu, wählen zu gehen.  

Hatten Sie das Gefühl, dass es für Sie als liberaler Schwarzer Intellektueller eine Verpflichtung war, dieses Buch zu schreiben, weil man auf einen weißen Gegenpart nicht gehört hätte?

Ja, es war tatsächlich eine Art Verpflichtung. Ich fühle mich nicht als Auserwählter aber es gibt wenige schwarze Intellektuelle, die sich dafür die Zeit genommen hätten. Und ich dachte unter denen, die es getan hätten, bin ich derjenige, der es tun muss. Ein Weißer konnte das nicht schreiben, man hätte ihn sofort als Rassisten abgestempelt. Ein jüngerer Mann wäre dafür kritisiert worden, dass er noch nicht genügend Erfahrung hat. Ein älterer Mann wäre dafür kritisiert worden, dass er nicht mehr am öffentlichen Leben teilnimmt. Also musste das Buch von jemandem in meinem Alter geschrieben werden. Es kommt hinzu, dass ich schnell schreibe und es war klar, dass das raus muss, so lange das passiert. In zwei Jahren leben wir in einer anderen Welt. Also hatte ich das Gefühl ich muss das machen. Und ich bin froh, dass ich das getan habe, es hat genau das Resultat gebracht, das ich mir gewünscht habe.

Sie sagen, Sie schreiben schnell, das Buch liest sich auch so. Es hat eine große Dringlichkeit. Was war der Punkt, an dem Sie gedacht haben, Sie müssen das jetzt machen?

Irgendwann im Jahr 2020, mitten in der Pandemie, wurde meine liebste kulinarische Journalistin bei der New York Times, Allison Roman, gefeuert. Eine der Arten und Weisen, wie ich mich während der Pandemie bei Laune gehalten habe, war es, die wöchentlichen Rezepte aus der Times nach zu kochen und ich habe sie vermisst. Dann habe ich nachgelesen, warum sie gefeuert wurde und es hat für mich nicht den geringsten Sinn ergeben. Noch ein Jahr zuvor wäre Allison Roman niemals von der Times entlassen worden. Dann habe ich weiter gedacht – das ist es, was wir nach dem Tod von George Floyd jetzt unter einer Abrechnung für den Rassismus in den USA verstehen? Das geht jetzt in eine Richtung, die ich nicht für gesund halte. Ich kenne die „Auserwählten“ seit 25 Jahren und habe gesehen, dass die jetzt die Macht bekommen, unsere Leben zu gestalten.  Sehen Sie, das sind keine bösen Menschen, die ziehen sich keine Stiefel an und marschieren durch die Straßen und es ist ihnen nicht egal wie bösartig sie sind. Es sind keine Psychopathen. Sie halten sich nur wirklich für Engel. Und ich dachte, es muss ihnen jemand sagen, dass sie das nicht sind. Und derjenige muss schwarz sein und älter als 50 und das war ich. Aber es hat wirklich mit den Rezepten angefangen.

Erinnern Sie uns daran, was mit Alison Roman los war?

Sie wurde entlassen, weil sie im Vorbeigehen abfällige Bemerkungen über das Model Chrissie Teigan gemacht hat, die halb Thai ist sowie über die Lifestyle-Päpstin Marie Kondo. Das Argument war, dass sie nicht eine, sondern zwei Personen asiatischer Herkunft beleidigt hat. Sie wurde behandelt, als habe sie schwarze Menschen direkt mit dem N-Wort beleidigt. Ich fand das absolut absurd. Ihre Karriere hat jetzt einen permanenten Makel, es war nicht fair und vor allem wäre das noch vor kurzer Zeit nicht passiert.  

Historisch gesehen war die Times immer eine Stimme der Vernunft. Finden Sie es besonders alarmierend, dass die Times sich in diese Richtung entwickelt?

Ich schreibe für die Times, ich kann darüber nicht offen reden. Doch damals habe ich noch nicht für die Times geschrieben und habe mich kritisch zu dem Fall geäußert. Immerhin hat mir die Times seither eine Kolumne gegeben und das war sicher auch eine Anerkennung der Tatsache, dass sie damals vielleicht ein wenig zu weit gegangen sind.

Sie sprechen in ihrem Buch viel über die inneren Widersprüche der Auserwählten und ihre intellektuelle Unehrlichkeit. Was sind für die schlimmsten Lügen der neuen Linken?

Ich glaube das Schlimmste ist ihr zentraler Glaubenssatz, dass es als moralisches Wesen eine Pflicht ist, in jeder Lage zu zeigen, dass man weiß, dass Rassismus existiert. Das ist wichtiger als alles andere und man muss es auf alle Lebensbereiche anwenden, ob das nun Essen ist, Kunst, das Strafrecht, Architektur, völlig egal. Dabei ist es deutlich wichtiger zu demonstrieren, dass man das richtige Bewusstsein hat, als tatsächlich die profane Arbeit zu leisten, etwas zu verändern und den Leuten zu helfen, die Hilfe brauchen. Du kannst fordern, was Du willst, auch wenn es in Wirklichkeit schwarzen Menschen schadet, so lange Du damit demonstrierst, dass Du weißt, dass Rassismus existiert.

Nennen Sie uns ein Beispiel.

Du kannst sagen, dass standardisierte Schultest rassistisch sind und ihre Abschaffung fordern, und es spielt keine Rolle, dass Du damit in Wirklichkeit sagst, dass schwarze Kinder zu dumm sind um Tests zu bestehen, die abstrakte kognitive Fähigkeiten prüfen. Aber egal, Du musst diese Diskussion nicht führen, weil Du gezeigt hast, dass es Rassismus gibt. Oder Du sprichst Dich dagegen aus, gewalttätige schwarze Jungs aus der Schule zu werfen, weil sie in Armut und ohne Väter aufgewachsen sind. Was dann aber natürlich passiert, wenn diese Jungs in der Schule bleiben, ist, dass sie andere schwarze Jungs verprügeln, denn solche Dinge kommen ja nicht in einer glücklichen integrierten Schule vor, sondern einer vorwiegend schwarzen öffentlichen Schule. Also schaden sie schwarzen Kindern, die lernen wollen, aber das ist ja egal, weil sie gezeigt haben, dass sie strukturellen Rassismus erkennen. Und so geht es immer weiter. Leute, die demonstrieren, dass es Rassismus gibt und dabei zulassen, das furchtbare Dinge passieren und die Leute schauen tatenlos zu, weil sie Angst haben, dass sie auf Twitter als weiße Suprematisten bezeichnet werden. Das Ergebnis ist ein Terror-Regime. Es gibt im Moment leider keine einfache Lösung für diese Machtübernahme der „Wokeness“ und den Dingen, die diese Leute im Namen des Anti-Rassismus tun, die aber in Wirklichkeit der blanke Rassismus sind.

Was würden Sie stattdessen gegen das Problem gewalttätiger schwarzer Jugendlicher tun?

Die Lösung des Problems ist in den Kampf gegen Armut zu investieren. Man muss sich doch fragen, was stimmt mit diesen Jungs nicht? Oft hatten sie keine Väter, weil ihre Väter aller nach im Gefängnis waren. Warum waren die Väter im Gefängnis? Das hat vermutlich etwas mit dem Krieg gegen Drogen zu tun, den unsere Regierung seit beinahe 50 Jahren kämpft. Sie haben entweder Drogen verkauft oder waren an irgendeiner Form der Gewalt beteiligt, die mit dem Drogenhandel zu tun hat. So oder so ähnlich geht die Geschichte des Vaters dieses Jungen und oft sieht genau so die Zukunft dieses Jungen aus. Wenn es nun keinen Krieg gegen die Drogen gebe, wenn es keine Möglichkeit gebe, in einer vernachlässigten schwarzen Gegend auf dem schwarzen Markt mit Drogen Geld zu verdienen, dann würden diese schwarzen Männer sich vermutlich einen Job besorgen. Kurz, den Krieg gegen die Drogen zu beenden würde schwarzen Männern ganz konkret helfen. Aber sich dafür einzusetzen beinhaltet eben nicht, mit erhobenem Zeigefinger Leuten zu erklären wie rassistisch sie sind. Es wären echte Lösungen für gesellschaftliche Probleme im Gegensatz zu Therapiestunden für Weiße oder theatralische Bekenntnisse der eigenen Schuld. Das sind keine Handlungen. Das sind Gesten. Das sind Performances.

Sie schlagen einen simplen Dreipunkte Plan vor, um die Situation von Afroamerikanern zu verbessern. Was sind die Punkte?

Über den einen Punkt haben wir ja gesprochen, den Krieg gegen die Drogen zu beenden. Der andere Punkt wäre, Berufsausbildungen anzubieten, die nicht unbedingt ein Universitätsstudium beinhalten. Wenn ein junger Mann heute nicht bei McDonald’s arbeiten und nicht Drogen verkaufen will, hat er in den USA nur die Wahl, für teures Geld vier Jahre aufs College zu gehen. Was wir hingegen bräuchten, wären zweijährige Ausbildungen, in denen man lernt eine Klimaanlage zu reparieren oder Elektriker zu werden, kurz, einen dritten Weg zu einer stabilen Mittelschichtsexistenz. Doch stattdessen herrscht in den USA die Einstellung, dass, wenn Du nicht aufs College gehst, etwas mit Dir nicht stimmt. Also drängen wir so viele Leute wie möglich in diese Schulen. Das ahat erst nach dem Zweiten Weltkrieg angefangen und es war noch nie sinnvoll. Wir brauchen einen kürzeren, einfachereren Weg in eine bürgerliche Existenz für schwarze Männer aus armen Verhältnissen, die dann in einer Lage sind, sich um ihre Familie zu kümmern. Das sind die Dinge, die man konkret tun kann, wenn man das Erbe des Rassismus bekämpfen möchte. Gewalttätige Jungs nicht aus der Schule zu werfen, bringt hingegen gar nichts.

Die Auserwählten haben Ihrer Meinung nach gar kein Interesse daran, konkret etwas zu verändern?

Ich will nicht so weit gehen zu sagen, dass sie keinen Wandel erzielen wollen, so zynisch sind sie nicht. Aber es ist ihnen unangenehm, wenn man sie auf tatsächlichen Wandel hinweist. Ihre ganze Daseinsberechtigung besteht darin, zu behaupten, dass sich nichts ändert und dass es diese nationale Tragödie des Rassismus gibt, die man nur ansprechen kann, in dem man Menschen Lektionen über ihre Ursünde der White Privilege erteilt. Es verschafft Ihnen Befriedigung eine Kassandra zu sein und sie konzentrieren sich einfach nicht darauf, was sie konkret tun könnten.

Das ist ein zentraler Unterschied zur Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre, die ja viel erreicht hat.

Genau. Martin Luther King und Bayard Rustin haben nicht nur hübsche Reden gehalten, sie kannten sich auch sehr gut mit den Themen aus und wussten sehr genau was Draußen in der Welt passiert. Sie wussten, mit wem man reden musste und sie wollten die Umstände für schwarze Menschen konkret auf der Basis realer Möglichkeiten verändern. Darüber dreht niemand einen Film, aber das war es, was sie getan haben. Wenn man heute hingegen mit den sogenannten schwarzen Vordenkern redet haben sie keine Ahnung von Politik, sie haben keine Vorstellung davon, was Washington tun kann um schwarzen Menschen zu helfen. Sie wollen nur immer wieder den Song singen, dass Amerika rassistisch ist. Man kann ihnen natürlich zugute halten, dass es heute schwieriger ist, zu wissen, was genau die Arbeit sein soll, im Vergleich zu vor 60 oder 70 Jahren. Aber das bedeutet ja nicht, dass wir uns nicht darauf konzentrieren sollten. Diese Leute sind keine Zyniker, aber sie erlauben es sich ohne Vorstellung davon zu operieren, was man im echten Leben tun kann, anstatt Posen zu machen.

Sie sagen, die Auserwählten haben es nicht gerne, Fortschritt in der amerikanischen Gesellschaft zu sehen. Sie widersprechen dem.

Natürlich hat die amerikanische Gesellschaft enorme Fortschritte gemacht. Man heute so alt sein, wie ich bin und sich nicht mehr an die Zeiten erinnern, in denen es ganz schlimm war. Selbst im Alter von 56 war ich nicht am Leben als es Schilder an den Trinkwasserbecken gab. Man vergisst heute leicht, was für einen unglaublichen Unterschied die 50er und die 60er Jahre gemacht haben. Und dann gab es die 80er Jahre, an die ich mich erinnere, in denen der Rassismus strukturell wesentlich schlimmer war, als heute. Aber wir sollen ja nicht an die Veränderungen denken, weil man Angst hat, dass die Leute dann nichts mehr tun. Aber es geht noch weiter, die Leute werden zornig, wenn man auf den Fortschritt hinweist. Es hat etwas Widerliches für sie, etwas von Wandel und Veränderung zu hören, denn können sie nicht sie selbst sein, wie wissen dann nicht mehr, wo sie stehen und warum sie morgens aufstehen sollen, wenn sie zugeben, dass die Dinge nicht so schlimm sind, wie sie tun. Es geht nicht darum, dass sie Geld damit verdienen, es geht um ihre Seele. Ihre Identität ist darum gebaut uns allen zu erklären, dass Rassismus niemals weg gehen wird, dass sie die Orakel sind, die uns das sagen.

Warum ist das für viele Leute so attraktiv?

Sie fühlen sich dadurch gut, sie haben das Gefühl, etwas zu wissen, das andere nicht wissen. Es gibt ihnen das Gefühl einem exklusiven Club zuzugehören. Ich kenne das, ich bin Wissenschaftler, es verschafft mir auch Befriedigung Dinge zu verstehen, die andere Leute nicht verstehen. Aber es geht hier um Race und Rassismus.

Wenn sie diese Einstellung kritisieren wird man oft sofort in das feindliche Lager gesteckt. Wie gehen sie damit um?

Was mich angeht, ich finde das Leben ist zu kurz. Ich weiß, dass ich nicht Donald Trump gewählt habe, ich habe mich mal für Links gehalten, ich bin Demokrat und ich werde mich nicht hinsetzen und das gegenüber Leuten verteidigen, die sich moralisch überlegen fühlen wollen. Aber wenn es um Rassendinge geht, habe ich ganz klar das Gefühl, dass ich diese Schlacht schlagen muss und ich mache es in dem Buch sehr klar, dass ich nicht vom rechts argumentiere und ich habe auch sehr dezidiert Interview-Angebote von rechten Medien abgelehnt, die es natürlich geliebt hätten, mit mir u sprechen. Ich habe kein Interesse anderen reflexhaften Reaktionen, dass diese ganze Wokeness einfach nur verrückt ist. Mich interessieren Leute, die wissen wollen, was diese Woke-Leute zu sagen haben und ob etwas dabei ist, das etwas Wert ist. Und ich sage ja nicht, dass nichts davon etwas wert ist aber ich verstehe nicht, warum diese Lete jeden aus dem Fenster schmeißen müssen, der nicht mit ihnen einverstanden ist. Das sind Leute die für Barack Obama und Hillary Clinton gewählt haben und Joe Biden, das sind Leute, die ich erreichen möchte und ich glaubem die verstehen, von woher ich argumentiere.

Sie glauben also, dass es Hoffnung gibt für Differenzierung, Nuance und gesunden Menschenverstand.

Ja, ich glaube schon, aber es kommt darauf an, in welchem Bereich. Ich glaube die Universität ist verloren, da ist nichts zu retten. Sie ist von den Auserwählten erstickt worden. Aber in der übrigen gesellschaft, also im richtigen Leben, gibt es einen Pushback gegen die Extreme. Es ist völlig in Ordnung „Whiteness“ zu dezentrieren, es ist völlig in Ordnung eine gewisse Abrechnung zu haben aber dieses ganze Geschäft, den Leuten den Kopf abzuhaken und sie in den Medien an den Pranger zu stellen, dagegen gibt es einen wachsenden Widerstand. Also ich habe die Hoffnung, dass wir in ein paar Jahren zu den glorreichen Zeiten des Jahres 2019 zurück gekehrt sind.

Warum haben Sie den Begriff Religion gewählt?

Nun Theologen mögen es nicht, dass ich diesen Terminus gewählt habe und die Grenzen zum Begriff der Ideologie sind fließend. Aber ich finde dass der Begriff deshalb nützlich ist, weil er unterstreicht, dass der richtige Zugang zu diesen Leuten nicht ist, einen Dialog zu versuchen, weil es keinen Dialog geben kann. Ich sage das mit derartiger Sicherheit, weil ich seit 20 Jahren versuche mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Sie sind jedem Argument gegenüber so verschlossen, wie jeder Christ, den Sie davon überzeigen wollen, dass Jesus sie nicht liebt. Für sie ist der Ersatz für Jesus der Glaubenssatz, dass Rassismus existiert und es ihre Aufgabe ist, darauf hinzuweisen. Wenn man an eine Ideologie denkt, denkt man etwas, das jemand aus einem Buch hat und man kann ihnen beibringen, dass es andere Arten und Weisen gibt, die Dinge zu betrachten. Aber das hier geht weiter und tiefer. Es ist so tief verwurzelt und geht so nah an das Selbstwertgefühl dieser Leute, dass es keine Verhandlung gibt. Man kann zu ihnen nur Nein sagen oder ihnen aus dem Weg gehen. Ich sage das nicht, weil ich ein Interesse daan habe sie zu teeren und zu federn. Aber ich kenne diese Leute. Als Akademiker kenne ich sie und als Journalist und als schwarzer Mann. Ich weiß das es hier keinen philosophischen Austausch gibt. Man kann mit ihnen nicht über John Stuart Mill diskutieren und über den Marktplatz der Ideen. Viele von ihnen sind klug und viele von ihnen sind nett, aber bei bestimmten Themen, redet man da gegen eine Wand.

Deshalb denke ich, das man mehr damit erreicht, wenn man von Religion spricht. Das roblem ist ja, dass sie echter Veränderung, echtem Fortschritt massiv im Weg stehen, mit ihrer nach innen gewandten charismatischen Ideologie. Man kann ihnen das nicht ausreden. Man beißt sich da die Zähne aus.

Sie bezeichnen diese Religion als rassistisch. Ist es für sie schwieriger mit diesem Rassismus umzugehen, als mit offenem, direkten Rassismus?

Diese Art von Rassismus ist schwer. Es ist ja ohnehin schon schwierig, Leute auf ihre subtilen rassistischen Einstellungen aufmerksam zu machen. Ich mache das seit den 70er Jahren. Aber diese Leute, die behaupten die rassistischen Dynamiken der Gesellschaft besser zu verstehen als jeder andere, begreifen nicht, dass sie schwarze Menschen wie Kinder behandeln. Aber ich hakte sie wie gesagt nicht für böse. Sie machen mich manchmal wütend. Sie können extrem frustrierend sind, weil sie denken, dass sie Gutes tun. Aber das hat Mao auch von sich gedacht.

Und für Sie persönlich?

Echter persönlicher Rassismus, wenn er mir begegnet, darauf schaue ich herab. Ich finde ihn komisch. Vermutlich hat eine solche Person nicht das gleiche Maß an Erfolg gehabt, wie ich. Aber sie kommen nicht an mich heran. Sie sind für mich einfach nur Abschaum. Aber mit den Auserwählten, die mir erklären wollen, dass ich Rassismus nicht so gut verstehe wie sie, das macht einen schwarzen Akademiker wütend. Aber das war nicht der Grund dafür das Buch zu sprechen, es ging nicht um mich, es ging darum, dass diese Leute schwarzen Menschen im Allgemeinen schaden.