50 Jahre Hip Hop

Wenn man von Manhattan an der 145ten Straße über den Harlem River in die Bronx kommt erhebt sich zur Rechten ein gigantisches Einkaufszentrum über den Fluss, ein Betonkoloss voller Discount-Läden, den die Bewohner des ärmsten New Yorker Stadtteils bequem erreichen können, um die Autos mit den Vorräten für die Woche voll zu laden. Manhattanites empfinden das Zentrum als Scheußlichkeit doch für den Bezirk, in dem es sonst an vielen Ecken schwer ist, sich mit dem Nötigsten zu versorgen, ist es ein Segen.

taz. 12.8.2023

Im Tiefgeschoß, gleich neben den Parkgaragen, gibt es hier seit ein paar Wochen eine Ausstellung über die „goldene Ära des Hip Hop“- grob die Zeit zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er Jahre, als die Musikform reif wurde, sich ausdifferenzierte und in den Mainstream drängte. Es gibt Haufenweise Devotionalien zu sehen und Musik zu hören, von so unterschiedlichen Künstlern wie Run DMC, Public Enemy, LL Cool J und Salt N Peppa bis hin zu den Beastie Boys. Sogar als Sprayer darf man sich betätigen, rein digital allerdings.Es ist keine sorgfältig kuratierte Show, die ein durchdachtes Narrativ über die Ära oder gar den Hip Hop insgesamt anbietet, eher ein Ort, an den Fans und Nostalgiker zum Schwelgen gehen können.

Die Ausstellung ehrt das 50te Jubiläum des Hip Hop, der angeblich seine Geburtsstunde am 11. August 1973 im Freizeitraum eines Sozialbaus an der Sedgewick Avenue, nur ein paar Blocks entfernt, gefeiert hatte. Damals legte DJ Kool Herc zu einer Schulfeier seiner Schwester Platten auf und benutzte dabei zwei Plattenspieler um zum Tanzen nahtlos die Rhythmus-Sequenzen desselben R and B Songs aneinander zu reihen.

Eigentlich hatte die Ausstellung Kernstück eines neu eröffneten nationalen Hip Hop Museums werden sollen, das gegenüber des Einkaufszentrums am Fluss rechtzeitig zum Jubiläum eröffnen sollte. Doch COVID hat alles verzögert und so musste man improvisieren.

Dass Amerika das Jubiläum des Hip Hop ohne die feierliche Eröffnung einer nationalen Pilgerstätte für die Freunde der Kunstform begehen muss, passt irgendwie zu diesem Jahrestag. Es ist viel los rund um das Jubiläum, insbesondere in der Geburtsstadt des Hip Hop. Es gibt Blockparties und Filmfestivals. Altstars wie Grandmaster Flash legen kostenlos auf. Die Public Library hat eine neue Mitgliedskarte mit Wild-Style Graffiti aufgelegt und das öffentlich rechtliche Fernsehen PBS strahlt eine mehrteilige Dokumentation zur Geschichte des Hip Hop aus, produziert von Chuck D von Public Enemy.

Zur feierlichen Erhebung des Hip Hop in den Status des nationalen Kulturguts mit allen Pauken und Trompeten reicht es jedoch nicht. Es wird keine Festakte geben und keine Ehrungen von Künstlern durch Politiker. Und es wird keine großen Stadionkonzerte mit den Größen des Genres geben, wie das sicher beim Jazz oder bei der Country Music passierte wäre, gäbe es da einen so präzisen Ursprungsmythos und ein so exaktes Datum.

Den Grund dafür muss man sicher darin vermuten, dass sich Amerika bis heute schwer tut mit dem Hip Hop. Niemand kann mehr ernsthaft leugnen, dass der Hip Hop eine ureigens amerikanische Kunstform von globaler Bedeutung ist. Sogar die erzkonservative Football-Liga NFL beugte sich im vorvergangenen Jahr dem Massengeschmack und dem breiten Konsens der Bevölkerung und bat zur Superbowl Halbzeit-Show Snoop Dogg, Eminem und Mary J. Blige auf die Bühne.

Doch der Hip Hop sperrt sich dagegen, sich so leicht in die Schatztruhe nationaler Kulturerrungenschaften legen zu lassen. Weit mehr als etwa der Jazz bewahrt sich der Hip Hop bis heute seiner Beliebtheit im gesamten urbanen und suburbanen Amerika zum Trotz seine Störfunktion und seine Gefährlichkeit.

Warum das so ist, hat vor wenigen Jahren der Essayist Mark Greif in seinem langen Stück „Learning to Rap“ zu ergründen versucht. Als linker Punker von der New Yorker Lower East Side entdeckte Greif den Hip Hop spät – in einem Alter, in dem die schnellen und komplizierten Reime und die frische aber oft idiosynkratische Sprache der Straße nicht mehr so leicht uns Ohr und über die Lippen gehen.

Dennoch mühte er sich redlich die großen Texte des Rap zu Memorisieren – von Jay Z’s Izzo über Fuck tha Police von NWA bis hin zu Kanyes Texten aus besseren Zeiten und den Freestyles von Biggie Smalls. Am öffentlichen Vortrag hinderte Greif freilich schon der häufige Gebrauch des N-Wortes, einem Art eingebauter Appropriierungs-Schutz der Künstler der zu sagen schien – Kauft gerne unsere Tracks und kommt zu unseren Konzerten aber versucht bloß nicht uns nachzumachen.

Natürlich ist die Form des Hip Hop nicht 100 Prozent Appropriierungs-fest. Es hat im amerikanischen Kontext reichlich erfolgreiche weiße Rapper gegeben, angefangen von den Beastie Boys bis hin zu Eminem und Macklemore. Von deutschem oder etwa französischem Rap ganz abgesehen. Der Kern des Rap als Ausdruck des Lebensgefühls in den amerikanischen Wohnbezirken der People of Color bleibt jedoch unantastbar. Wie Chuck D in der Doku über die Geschichte des Hip Hop sagt: „Hip Hop ist die Form der Kreativität, die dort entsteht, wo es sonst nur Hoffnungslosigkeit gibt.“

So bereitet es Mark Greif zwar im Privaten Vergnügen die Reime von NWA und Biggie Smalls vor sich hin zu murmeln und in die Rolle des Gangsters zu schlüpfen. „Das ist großes Drama, große Emotionen, opernhaft fast. Und diese Gefühle unterscheiden Hip Hop von anderen Formen der Pop Musik.“ Laut davon zu rappen mit einer Maschinenpistole im Rucksack zur Schule zu gehen, wäre jedoch für einen Angehörigen der weißen Mittelschicht albern und peinlich.

Ebenso schwer tut sich Greif und mit ihm die Mehrheit des weißen bürgerlichen Amerika mit dem offenen Materialismus der dem Hip Hop in Teilen unterliegt. Weiße Protestmusik war anti-kapitalistisch und system-kritisch. Hip Hop erzählt jedoch eine andere Geschichte. Der Gangster-Rap, auf den für Greif im Hip Hop beinahe alles zurück geht, feiert die Teilhabe am Kapitalismus und dem Konsum: Als Drogen-Kleinunternehmer unter skrupelloser Verwendung von Ausbeutung und Gewalt und schließlich als Künstler und Unterhaltungsunternehmer vom Schlage eines Jay-Z oder Russell Simmons.

“I do this for my culture
To let 'em know what a nigga look like, when a nigga in a roaster
Show 'em how to move in a room full of vultures
Industry shady it need to be taken over
Label owners hate me I'm raisin the status quo up”, rappt Jay Z.

Das bleibt letztlich krass und nicht ganz salonfähig. In gewissem Sinn ist der schwarze Unternehmer und Milliardär, gleich ob er Rapper oder Basketball-Star ist, eine Art Parodie und Überzeichnung des weißen Pendants. Die ironische Distanz wird per Hip Hop in der Erzählung des Aufstiegs her gestellt. Der schwarze Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates hat in seinem Gutachten zur Obszönitätsklage gegen 2 Live Crew diese Strategie der ironischen Distanzierung bei gleichzeitiger Nachahmung „Signifying“ genannt – eine rhetorische Strategie, die über Generationen Afroamerikanern überhaupt das Überleben in der weißen Gesellschaft ermöglicht hat. Sie macht Hip Hop einerseits so aufregend und erfolgreich. Und bewahrt die Kunst andererseits davor, ohne Rest im amerikanischen Mainstream aufzugehen. Auch nach 50 Jahren noch.-