Eine der konservativsten Republikanerinnen legt sich mit Donald Trump an. Liz Cheney, Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten, setzt für die Demokratie ihre eigene Karriere aufs Spiel

 

Focus, 23.07.2022

Liz Cheney hatte sich seit Monaten nicht mehr in ihrem Heimatstaat Wyoming blicken lassen, ihr Job als zweite Vorsitzende des Anhörungs-Komittees zu den Aufständen des sechsten Januars 2021 hielt sie in Washington DC fest. Doch diese eine Einladung am vergangenen Wochenende konnte sie einfach nicht ausschlagen.

Der indigene Stamm der Northern Arapaho, der im Wind River Reservat am Rand der Rocky Mountains lebt, wollte die Kongressabgeordnete des Staates als Ehrengast zu seinem jährlichen PowWow begrüßen. Es war eine beinahe heilige Verpflichtung, niemals wäre Cheney verziehen worden, hätte sie den Stammesältesten einen Korb gegeben.

So stand sie am letzten Sonntag in der vor einer malerischen Bergkulisse aufgebauten Arena zwischen Frauen in bunten Gewändern und aufwändigem Kopfschmuck und nahm die Huldigungen des Stammes entgegen. Stundenlang stand sie da in der prallen Julisonne, mit einem üppig bestickten Schal um den Hals und schüttelte Tausende von Händen. Nicht einer der anwesenden Arapaho wollte es sich nehmen lassen, ihr Kraft und Glück für das zu wünschen, was ihr bevorsteht.

„Es war ein bewegender Moment“ erinnert sich Cale Case, republikanischer Senator im Staatsparlament von Wyoming und Manager von Cheneys Kampagne zur Wiederwahl als Kongressabgeordnete des Staates. „Der Tag hat uns unheimlich Mut gemacht.“

Solchen Mut braucht Cheney allerdings auch, wenn sie am 16. August in der Vorwahl der republikanischen Partei für das US Repräsentantenhaus gegen ihre Hauptkonkurrentin Harriet Hagemann antritt. Hagemann, die von Donald Trump unterstützt wird, führt in den jüngsten Umfragen mit einem Vorsprung von 22 Prozent.

Wyoming, der bevölkerungsärmste Staat der USA, der an vielen Orten wirkt wie die Kulisse zu einem klassischen Western, ist einer der Trump-treuesten Staaten der USA. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen bekam Trump hier 70 Prozent der Stimmen. Katie Klingsporn, Reporterin des örtlichen Nachrichtenportals „Wyofile“, beschreibt die politische Landschaft dort so: „Es gibt rot und tiefrot“. Eine signifikante demokratische Wählerschaft ist praktisch nicht vorhanden. Zu den demokratischen Vorwahlen zum Kongress gingen vor vier Jahren gerade einmal 19,000 Menschen während 117,000 Republikaner ihre Stimme abgaben. Klingsporn selbst gibt an, trotz ihrer tendenziell linken Ansichten in die republikanische Partei gewechselt zu sein. „Ich möchte, dass meine Stimme etwas zählt“. Als Demokrat geht man in Wyoming unter.

Liz Cheney passt eigentlich hervorragenden in diesen Staat. Ihr Vater Dick war Vizepräsident unter dem letzten republikanischen Präsidenten vor Trump, George W. Bush. In dessen Kabinett galt Cheney als konservativer Hardliner: Cheney wird für den Krieg im Irak ebenso mitverantwortlich gemacht, wie für das extraterritoriale Gefängnis in Guantanamo und die Folterpraktiken der CIA. Liz Cheney selbst vertritt ebenfalls harte, rechte Positionen: Sie setzt sich für das Recht ein, offen Waffen zu tragen, sie ist für niedrige  Steuern und gegen übertriebene Sozialleistungen, sie ist für ein starkes Militär und gegen Abtreibung. Lange Zeit setzte sie sich sogar gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften ein, obwohl ihre Schwester Mary mit einer Frau verheiratet.

Trotzdem ist Liz Cheney spätestens seit Beginn diesen Jahres eine Außenseiterin in der eigenen Partei. Der Grund: Cheney ist die exponierteste republikanische Politikerin, die sich offen gegen Donald Trump stellt.

Lange Zeit lag die Erbin der Cheney-Politdynastie voll auf einer Linie mit dem neuen Regenten ihrer Partei. Seit dieser im Jahr 2017 in das Weiße Haus einzog stimmte die Kongressabgeordnete Cheney in 93 Prozent der Fälle für Trump.

Doch das Verhältnis bekam erste Risse, als Trump von einem Rückzug amerikanischer Truppen in Afghanistan zu sprechen begann. Schließlich war das starke militärische Engagement der USA im Nahen Osten eine der wichtigsten politischen Hinterlassenschaften von Cheneys Vaters.

In offene Opposition zu Trump ging Cheney dann, als dieser schon vor der Präsidentschaftswahl 2020 prophylaktisch ankündigte, das Wahlergebnis anzuzweifeln, falls er verliere. Als Trump bereits am 23. September in einem Interview das Auszählverfahren der Stimmzettel vorauseilend bemängelte, schrieb Cheney in einem Tweet: „Die friedfertige Übergabe der Macht ist in unserer Verfassung festgeschrieben und ist fundamental für das Überleben dieser Republik.“

Cheney hielt eisern an ihrer Position fest. Sie weigerte sich, ihre Kritik an Trumps Versuchen, die amerikanische Demokratie zu unterlaufen, zurück zu nehmen, selbst, als die Republikaner im Repräsentantenhaus drohten, ihren Rang als dritthöchste Abgeordnete der Kammer abzuerkennen. Noch vor dem Jahresende veröffentlichte Cheney ein 21 Seiten langes Memorandum, das Trumps Behauptungen, die Wahl sei „gestohlen“ worden, widerlegte. Sie ratifizierte am 6. Januar die Wahl Joe Bidens, noch während vor dem Kapitol ein wütender Mob von Trump Anhängern tobte. Und als der Kongress eine Gedenkstunde für den 6. Januar einlegte, war sie gemeinsam mit ihrem Vater als einzige Republikanerin zugegen.

Als Liz Cheney im Juni schließlich den Posten als zweite Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im Kongress zu den Vorfällen des 6.Januars annahm, war ihre Stellung als schärfste Gegnerin des Ex-Präsidenten im eigenen Lager endgültig zementiert. Cheney eröffnete die erste Ausschusssitzung mit den unmissverständlichen Worten: „Präsident Trump hat den Mob gerufen und die Flammen der Attacke entzündet. Es war sein Ziel, trotz des rechtmäßigen Ausgangs der Wahl, Präsident zu bleiben. Er hat damit seine verfassungsgemäße Pflicht verletzt, die Macht friedlich abzugeben.“

So ist Cheney, seit die Anhörungen, die in dieser Woche enden (??), begonnen haben, zu einer politischen Symbolfigur in den USA geworden, zu einer Art amerikanischer Marianne. Cheney ist bereit, ihre politische Karriere ihren Prinzipien unterzuordnen, um die amerikanische Demokratie zu verteidigen.

„Ihr Mut ist außerordentlich“, schwärmt beispielsweise Gunner Ramer, der politische Direktor einer Organisation namens Republican Accountability PAC (Political Action Committee). Die Organisation unterstützt konservative Kandidaten auf allen Ebenen, die sich gegen Trump stellen und sich für einen zivilisierten politischen Diskurs sowie für die Verfassungstreue einsetzen. „Liz Cheney ist eindeutig unsere Leitfigur“, sagt Ramer.

So wird die Vorwahl in Wyoming im August auch als Litmus-Test dafür angesehen, wieviel Macht Donald Trump noch über die republikanische Partei besitzt. Cheneys Gegnerin Harriet Hagemann wird von Trump unterstützt und sie macht nicht den geringsten Hehl daraus. So zeigt Case Cale mit unverhohlener Abscheu Hagemanns Wahlkampf Flugzettel vor, der auf beiden Seiten in fetten Lettern bekannt gibt, dass die Kandidatin zu Trump steht. „Sie hat gar kein anderes Programm, als dass sie zu Trump hält.“

Bislang waren die Ergebnisse der von Trump unterstützten Kandidaten in den Vorwahlen zur Kongresswahl im November eher gemischt. Nachdem bei Vorwahlen im Frühjahr viele Trump Kandidaten durchmarschiert sind, gab es bei den jüngsten Wahlen herbe Rückschläge. Die Trump Kandidaten in Georgia und Alabama verloren teilweise mit deutlichen Rückständen.

Cale Case führt das nicht zuletzt auf die Anhörungen zum 6. Januar zurück, die Cheney leitet. „Vielleicht ist es nur mein Gefühl, aber ich habe den starken Eindruck, dass sich etwas bewegt.“ Bei den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag in Wyoming, berichtet Case, habe er beispielsweise fast keine Trump Banner gesehen. „In den Jahren zuvor war alles voll davon“.

Gunner Ramer glaubt gar, dass die Anhörungen die komplette politische Landschaft in den USA verändert hätten. „Die Trennlinie ist nicht mehr so sehr zwischen Demokraten und Republikanern, wie zwischen denen, die für eine friedliche Machtübertragung sind und jenen, die dagegen sind.“

Dafür spricht nicht zuletzt, dass zahlreiche traditionell demokratische Wahlkampfspender Gelder in Liz Cheneys Wahlkampf in Wyoming pumpen. Darunter befinden sich Jeffrey Katzenberg, einer der wichtigsten Unterstützer von Barack Obama, der LinkedIn Mitbegründer Reid Hoffman und der Hegde-Fonds Betreiber Seth Klarman

Cheney selbst ist das deutlich bewusst. So sandte ihr Wahlkampfbüro in Wyoming jüngst ein Informationsblatt an demokratische Wähler heraus, wie sie kurzfristig ihre Parteizugehörigkeit wechseln können, um für sie zu stimmen.

Ein Sieg in den republikanischen Vorwahlen ist Cheney trotzdem alles andere als gewiss. „Wir sind schon ein sehr sehr konservativer Staat“, gibt Katie Klingsporn zu bedenken.  Eine Prognose würde sie nicht wagen.

Andererseits ist derzeit auch nicht klar, wie wichtig es Liz Cheney überhaupt ist, ihren Abgeordnetensitz zu behalten. Die Gerüchte, dass sie ein höheres Amt anstrebt, werden in den vergangenen Wochen immer lauter. „Mich würde es nicht wundern, wenn sie sich 2024 zur Präsidentenwahl stellt“, sagt Case, der immerhin zu Cheneys engerem Kreis gehört. „Dafür muss sie nicht unbedingt im Repräsentantenhaus sitzen.“

Es wäre eine formidable Schlacht: Auf der einen Seite die erzkonservative Politikerin, die gleichwohl für Verfassungstreue und eine zivilisierte Politkultur steht und auf der anderen Seite der Egomane, der die demokratischen Institutionen nachweislich mit Füßen getreten hat. Es ist eine Aussicht, die moderate Konservative wie Case schon jetzt ins Schwärmen bringt.

„Sie wäre außerordentlich präsidentiell“, sagt der Senator. „Sie hätte das Zeug dazu, unser Land wieder zusammen zu bringen.“ Eine Ansicht, die auch immer mehr Demokraten teilen. So sagte Robert Reich, Arbeitsminister unter Bill Clinton und Wirtschaftsberater für Barack Obama jüngst: „Sie hat mehr Integrität demonstriert als jeder andere Politiker in den USA. Sie könnte die beste Präsidentin für die gefährliche Zeit sein, in der wir uns befinden“.

Kurz:  Nun geht es erst einmal darum, die amerikanische Demokratie zu retten. Streiten kann man dann später wieder.