In Pennsylvania wird ein Großteil des deutschen Erdgases gewonnen. Dafür wird dort die Natur zerstört

Focus 34/2023

Foto: Larry Towell

 

 

 

Die Kleinstadt Butler ist ein wahrhaftes Idyll, der Ort liegt malerisch inmitten der grünen Hügel des nordwestlichen Pennsylvania, wo die Appalachen langsam zum Lake Erie hin abflachen. Große Bauernhöfe mit ihren typischen, rot angemalten Scheunen thronen über weitläufigen Wiesen zwischen waldigen Anhöhen. Kühe weiden friedlich in der milden Spätsommersonne.

Dass hier die Welt nicht ganz so in Ordnung ist, wie es scheint, merkt man nur, wenn man die Karte der Umweltgruppe „Fractracker“ benutzt. Auf dem Portal der Gruppe ist die Gegend rund um Butler mit roten, lilafarbenen und gelben Punkten nur so übersät. Die Punkte zeigen Fracking Bohrlöcher verschiedener Typen an, Zugangsstellen zu den schier endlosen Erdgas – Reserven, die hier zwischen 1000 und 3000 Metern unter den saftigen Wiesen schlummern.

 

Die Bohrlöcher liegen meist etwas versteckt, an der Straße weist nur ein kleines rotes Schild mit dem Namen des betreibenden Energieanbieters sowie der Bohrstätte darauf hin – oft euphemistische Bezeichnungen wie „Gaia“ oder „Mountain Gathering“. Doch wenn man die „Betreten Verboten“ Warnungen ignoriert bietet sich nach ein paar Hundert Metern Schotterstraße ein immer wieder kehrendes Bild: Eine gerodete und betonierte Freifläche, selten größer als 1000 Quadratmeter, eine Reihe von Tanks für das toxische Wasser, das für die Gasgewinnung in den Boden gepumpt wird und die sechs bis zehn Meter hohen Hochdruckpumpen, mit deren Hilfe der kostbare Bodenschatz extrahiert wird.

 

Laut Fractrakcer gibt es auf den 500 Kilometern zwischen dem Lake Erie und der Grenze zu West Virginia, sowie den 290 Kilometern zwischen Philadelphia und Pittsburgh die unglaubliche Zahl von 218,655 solcher Anlagen. Der Staat Pennsylvania förderte im Jahr 2022 pro Tag 20 Milliarden Liter Erdgas. Man nennt Pennsylvania, das auf der Erdgas-reichen Marcelus – Schiefer Formation liegt, deshalb auch das Saudi Arabien der USA.

 

Die massive Erschließung der Erdgasvorkommen im Marcelus Schiefer, der sich quer durch den Nordosten der USA zieht, begann Mitte der 2000er Jahre, als technische Neuerungen die Extraktion aus großen Tiefen ermöglichten. Die Bush Regierung sprang auf die Gelegenheit, insbesondere Bushs Vize Dick Cheney, ein ehemaliger Ölmann, witterte massive Profite für die Branche sowie Unabhängigkeit der USA vom Nahen Osten. Eine wahre Goldgräberstimmung setzte in den Appalachen ein, die nach dem Schrumpfen der Stahl- und Kohleindustrie verzweifelt nach einer neuen Lebensgrundlage suchten.

 

Der Boom flachte wieder ab, nicht zuletzt, weil die Branche in Verruf geriet. Berichte von Grundwasserverseuchungen gingen durch die Medien, der Dokumentarfilm „Gasland“ zeigte Bilder von Anwohnern, deren Trinkwasser Feuer fing, wenn man ein Feuerzeug daran hielt. Doch der Ukraine Krieg verschafft jetzt der US-Erdgas Branche einen neuen, unverhofften Rückenwind. Im Jahr 2022 führten die USA mit 978 Milliarden Kubikmeter Erdgasförderung souverän die Weltrangliste an.

 

 

 

Der neue Gasrausch ist hier in Pennsylvania deutlich spürbar. An den Straßenrändern versuchen Schilder die Anwohner zum Verkauf der Bohrrechte auf ihren Grundstücken zu animieren. Makler gehen mit wilden Versprechen lebenslanger Erlöse von Tür zu Tür. Kolonnen von Tanklastzügen mit toxischem Frac-Wasser donnern Tag und Nacht über überlastete schmale Landstraßen.

 

Gillian Graber, die in der 20,000 Seelen Gemeinde Penn Township außerhalb von Pittsburgh lebt, berichtet, dass Fördergesellschaften alleine im vergangenen Jahr 13 Bohranträge rund um den Ort gestellt hätten. „Man hat das Gefühl, als hätten sie alle Hemmungen verloren“, sagt sie. Die Ukraine Krise und die damit verbundene, steil angestiegene Nachfrage nach amerikanischem Gas hat jegliche Zurückhaltung weggeblasen.

 

Für Graber, die in ihrer Gemeinde eine Anti-Fracking Gruppe leitet, bedeutet das, erneut Kräfte zu sammeln um einen ermüdenden, verzweifelten Kampf wieder aufzunehmen. Einen Kampf, bei dem ihre Gemeinde in der Vergangenheit herbe Rückschläge hat einstecken müssen. Im Jahr 2017 hatte ihre Organisation „Protect PT“ der Erdgas Firma Apex Fehler und Fahrlässigkeiten in ihrer Bewerbung um Bohrgenehmigungen nach gewiesen. Apex verklagte Graber und ihre Organisation auf 300 Milionen Dollar Schadensersatz. Die Gemeinde musste nachgeben und sich auf einen Vergleich einlassen.

 

Die Niederlage verstärkte das Gefühl der Machtlosigkeit, das so viele Bewohner des Marcelus Streifens empfinden. „Es ist schwer, nicht in Apathie und Zynismus zu verfallen“, sagt Gillian. „Diese Firmen geben niemals auf. Und am Ende sitzen sie doch am längeren Hebel.“

 

Gillian und ihr Mann sind vor 15 Jahren von Pittsburgh aus aufs Land gezogen, weil sie ihre Kinder in einer ruhigen, ländlichen Umgebung großziehen wollten. Als es in Harrison mit dem Fracking los ging waren die Kinder fünf und sechs Jahre alt. „Vorher habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, woher meine Energie kommt. Aber das hier hat meine Sichtweise völlig verändert.“

 

Aus der ruhigen Gemeinde in den Hügeln außerhalb der alten Stahlstadt Pittsburgh war über Nacht eine industrielle Förderstätte geworden. Lastwagen rumpelten Tag und Nacht durch den Ort. Über den Bohrstellen brannten rund um die Uhr grelle Scheinwerfer und die Pumpen brummten. Die Energieunternehmen stellten Wohnwagen für Arbeiter auf, die sich tagsüber auf Förderstätten im gesamten Landkreis verteilten. Vor allem aber machte Gillian sich Sorgen um die Verschmutzung der Luft und des Wassers, die ihre Kinder trinken und atmen.

 

Die Branche versichert seit vielen Jahren, dass das Verfahren, bei dem mit Hochdruck hochgiftige Stoffe in die Erde gepumpt werden, um den Schiefer brüchig zu machen und die Erdgase darunter zu entfesseln, sicher ist. Doch Forscher und Experten halten das für eine freche Lüge. Die Datenbank Fracfocus, zu der Wissenschaftler in den gesamten USA beitragen, haben im Frac-Wasser bislang 175,000 Chemikalien identifiziert, darunter einen großen Anteil sogenannter „PFAS“ (Polyfluoralkyl-Substanzen), also Chemikalien die nicht abbaubar sind.

 

John Stolz ist einer der Forscher, die seit Jahren zu der Fracfocus Datenbank beitragen. Der Leiter des Instituts für Umweltforschung an der Duquesne University in Pittsburgh hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Gemeinden wie jener von Gillian mit Analysen zur Seite zu stehen, wenn sie versuchen, den Energiefirmen Nachlässigkeiten nachzuweisen und ihre Bohrgenehmigungen an zu fechten.

 

„Wir finden praktisch jede Woche ein neues Problem“, sagt Stolz, während er in seinem Labor neben dem Ionen-Chromatografen steht, der Spuren von Brom, Chlor und Nitraten im Wasser aufspürt. Stolz ist davon überzeugt, dass das Fracking entlang des Marcelus-Massivs dauerhaft das Grundwasser verseucht. „Es werden jedes Jahr vier Billionen Liter kontaminiertes Wasser produziert“, sagt Stolz. „Das Land wird niemals wieder so werden, wie es vorher war.“ Langfristig, befürchtet Stolz, werde die Extraktion große Landstriche unbewohnbar machen.

 

Für seine exponierte Meinung und seine uneigennützige Hilfe der betroffenen Gemeinden hat Stolz sich den Zorn der Industrie zugezogen. „Ich habe derzeit neun einstwillige Verfügungen gegen mich laufen“, sagt er lachend und mit ein klein wenig Stolz. Etwas weniger witzig findet er jedoch, dass man immer wieder seinen juristischen Status als Experten anzweifelt, obwohl er einer der führenden Mikrobiologen auf dem Gebiet ist. Das Argument: Er habe noch nie selbst in einer Frackinganlage gearbeitet.

 

Aber Stolz lässt sich durch die Anfeindungen nicht beirren. Er weiß, dass er oft die wirksamste Waffe winziger Kommunen ist, die versuchen, sich gegen die Macht der Energiekonzerne aufzulehnen. „Es ist doch DeFacto so, dass sie praktisch überhaupt keine Möglichkeit haben, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen.“

 

Grund dafür ist ein undurchdringliches Geflecht aus Branchen-freundlicher Gesetzgebung und Korruption in Pennsylvania. Im Jahr 2006, als Dick Cheney im Weißen Haus saß, erließ die Bundesregierung ein Gesetz, das heute als „Halliburton Loophole“ bekannt ist – benannt nach dem Konzern, dem Cheney vor und nach seiner Zeit in Washington vorstand. Das Gesetz sprach die Bundesregierung praktisch komplett von jeder Verpflichtung frei, die Gasgewinnung zu regulieren und die Umwelt zu schützen. Die Verantwortung dafür ging an die Einzelstaaten.

 

https://earthworks.org/issues/inadequate_regulation_of_hydraulic_fracturing/

 

Manche Staaten, wie New York, verboten das Fracking komplett. Pennsylvania gab es hingegen, ebenso wie andere konservative Staaten wie etwa Texas oder Wyoming, komplett frei. Mehr noch, der Staat erließ ein Gesetz, das ganz gezielt die Öl- und Gasindustrie von geltenden Umweltschutzbestimmungen ausnahm. So können etwa die Gasfirmen das toxische Frac Wasser einfach in das Abwasser leiten. Normale Kläranlagen sind aber nicht im Stande, die widerstandsfähigen Giftstoffe heraus zu filtern oder zu neutralisieren.

 

Bohrgenehmigungen werden derweil grundsätzlich vom Amt für Umweltschutz des Staates Pennsylvania erteilt. Doch Stolz bezeichnet das Genehmigungsverfahren als Witz. „Da werden die immer wieder gleichen Formulierungen einfach kopiert und eingefügt.“ Ein ernstzunehmendes Prüfverfahren auf Umweltverträglichkeit gebe es nicht.

 

Trotzdem haben anfangs viele der betroffenen Gemeinden die Gasindustrie mit offenen Armen begrüßt. In verarmten Landstrichen, in denen die Landwirtschaft die Menschen nicht mehr ernährt und die Stahlindustrie Armut und Arbeitslosigkeit hinterlassen hat, erschien das schnelle Geld vom Verkauf der Bohrrechte zunächst als Rettung. Doch nach rund 15 Jahren Fracking in Pennsylvania sind viele ernüchtert.

 

„Die Versprechen der „land men“ – der Rechtekäufer – haben sich als Lügen heraus gestellt“, sagt Stolz. Die meisten Quellen seien nach einem Jahr zu 75 Prozent erschöpft. Auf eine ursprünglich großzügige Zahlung folgen deshalb in den Folgejahren nur noch Bagatellbeträge. „Manche kriegen nicht mehr als 10 Dollar pro Monat.“ In der Zwischenzeit ist jedoch in ihren Ortschaften nichts mehr so, wie es einmal war „Die Leute fühlen sich betrogen und verraten.“

 

Deshalb formiert sich nach und nach der Widerstand. Im Jahr 2020 etwa machte die 700 Seelen Gemeinde Grant Township Schlagzeilen, als sie vor dem Staatsgericht von Pennsylvania ihr Verfassungsrecht auf Selbstbestimmung einklagte und gewann. Seitdem ist es in Grant sogar legal, zivilen Ungehorsam gegen die Bohrer auszuüben und die Frac-Quellen zu blockieren. Doch der Kampf ist nicht vorbei. Die Behörde für Umweltschutz, welche die Bohrgenehmigungen erteilt, klagt nun gegen Grant Township zurück. „Es ist verrückt. Die Behörde, die eigentlich die Umwelt und die Bürger schützen soll, schützt nur die Industrie“, sagt Stolz.

 

 

Trotzdem ist der Sieg von Grant Township in der ersten Instanz ein Hoffnungsschimmer im Kampf der Gemeinden gegen die Energiebranche. Tish O’Dell, die mit der Organisation CELDF (Community Environmental Defense Fund) Grant Township unterstützt hat, glaubt die juristische Strategie das Verfassungsrecht auf Selbstbestimmung einzuklagen habe Potenzial: „Wir hoffen, dass wir auf diese Art eine Bewegung aufbauen können“, sagt sie. CELDF berät bereits mehrere Dutzend Gemeinden dabei, den gleichen Weg zu gehen.

 

Einer der Fälle, denen sich John Stolz sich am leidenschaftlichsten verschrieben hat, ist jener des Dorfes New Freeport, an der Grenze zum Nachbarstaat West Virginia. An der Wand außerhalb seines Büros in Pittsburgh hängt ein großes Plakat mit Fotos, Tabellen und Diagrammen. Sie zeigen an, dass das Wasser in New Freeport mit Methanol, Ethanol, Lithium, Chlor und Magnesium verseucht ist. „Der Methan Gehalt ist so hoch, dass bei einem Funkenflug ein ganzes Haus in die Luft fliegen kann.“

 

Die Kontaminierung war die Folge eines sogenannten „Frac-Out“ vor 15 Monaten. Die Bohrung für eine neue Erdgas-Quelle auf dem Hügel oberhalb von New Freeport stieß auf eine still gelegte aber nicht ordentlich abgedichtete Gas Quelle am Ortsrand. Seither laufen ungefiltert die Giftstoffe in das Trinkwasser des Dorfes.

 

Am nächsten Tag stehen wir vor der freiwilligen Feuerwehr am Ortseingang von New Freeport, die neben der Kirche das einzige öffentliche Gebäude des Dorfes ist. Die Dorfstraße schlängelt sich von hier aus keinen Kilometer lang durch das enge Tal. Die Hälfte der rund zwei Dutzend Häuser im Ortskern haben bessere Tage gesehen. Dächer hängen schief, die weißen Holzfassaden brauchen dringend einen neuen Anstrich.

 

Wir treffen hier Tonya Yoders, eine kleine Frau Anfang 30 mit einem wachen Blick und einer freundlichen Disposition. Tonya, die jetzt in der Kleinstadt Washington rund 30 Kilometer von hier entfernt lebt, ist in New Freeport groß geworden, ihr Elternhaus ist das erste Haus des Ortes neben der Feuerwehr. Doch weder ihre Eltern noch irgendwer anders im Ort mögen mit uns sprechen. Die Menschen sind verbittert und zurückgezogen. „Am Anfang kamen ständig Reporter, aber es hat den Leuten hier alles nichts geholfen.“

 

Ihr Vater, erzählt Tonya, fahre einmal die Woche zum Supermarkt nach Washington um Wasser zu kaufen, etwa 40 Liter braucht der Haushalt zum Kochen, Putzen und Trinken. Geduscht wird noch immer mit dem Giftwasser. Das Wasser sei zwar etwas besser geworden, erzählt Tonya, ihre Eltern bekämen keine Ausschläge mehr. Aber es hinterlasse noch immer einen schmierigen Film und einen faulen Geruch auf der Haut.

 

Das schlimmste für die Menschen hier sei jedoch, dass keine Besserung in Sicht sei. Die Energiegesellschaft EQT behauptet, dass kein Zusammenhang zwischen dem Frac Out und der Wasserverseuchung nach zu weisen sei. Stolz sagt dazu: „Hieb- und stichfest beweisen kann ich es nicht. Aber ich habe einen Haufen Indizien.“

 

Auf staatliche Hilfe dürfen die Leute von New Freeport derweil auch nicht hoffen. Die Umweltschutzbehörde von Pennsylvania sagt, „sie studiere die Daten.“ Für Tonya Yoders sind die Gründe für die Apathie klar. „Unser Grundwasser ist dauerhaft verseucht. Und niemand will Millionen für eine neue Wasser-Infrastruktur für ein kleines armes Dorf in den Bergen ausgeben.“

 

Tonya Yoders hat trotz allem noch nicht aufgegeben. „Wir werden weiterhin versuchen, Aufmerksamkeit auf uns zu lenken und Druck zu erzeugen.“ Doch ein Teil von ihr hat längst resigniert. „Das Dorf wird sterben“, sagt sie mit traurigen Augen. Was dann bleibt, wenn das Gas unter New Freeport ausgeht, sind zwei stillgelegte Frac Löcher und eine Geisterstadt. Und eine Randnotiz in den Zeitungen von Pittsburgh und Philadelphia.